Deutschlandfunk | 21.05.2022 | Atelier neuer Musik | 22:05-22:50
Mitte der 1970er Jahre erschloss der Komponist Raymond Murray Schafer mit dem Konzept der Soundscapes neues Terrain, indem er den »Stimmungen der Welt« lauschte. Etwa zeitgleich lenkte Bernie Krause mit seinen Fieldrecordings das Ohrenmerk auf die Klänge der Natur. Mit der Bioakustik stieß er ein Feld künstlerischer Forschung an, das angesichts des Klimawandels heute besondere Relevanz entfaltet. Aktuell betreiben Künstlerinnen und Künstler wie Christina Kubisch und Udo Noll sonische Feldforschung, d.h. Sound-Mapping – indem sie Soundscapes von Natur, Kultur und Technik in den Sweet Spot rücken.
Netzkünstler Udo Noll hat mit seiner Plattform radio aporee eine Art akustisches und nutzergeneriertes Google Earth konzipiert – auf der Fielrecordisten ein weltweites Netz an Klängen errichtet haben. Besuchern erlaubt die Plattform, mit den Ohren zu reisen…
Klangkünstlerin Christina Kubisch betreibt mit ihren Electrical Walks betreibt Christina Kubisch eine besondere, technisch inspirierte Art des ›Sound-Mapping‹ – die hörbar macht, wie sehr die Umwelt mittlerweile von menschlicher Kultur und Apparaten durchdrungen ist: »Das Prinzip ist, dass man über hochsensible Kopfhörer magnetische Felder hörbar macht.« Und noch ein weiterer Aspekt der akustischen Welterschließung interessiert Christina Kubisch im Rahmen ihrer Electrical Walks – nämlich der performative Akt des Hörens beim Gehen…
Unter den Vorzeichen digitaler Perfektion spielen Störungen eine entscheidende ästhetische Rolle. Mehr noch aktualisieren sie das (post)modernistische Fortschrittsdenken: Wenn das Material ausgeschöpft ist und technischer Perfektionismus den menschlichen Genius überholt – nimmt dann der Fehler strategisch die Rolle der Innovation ein?
Von den interferierenden Decodierungen Alexander Schuberts, über die irritierenden Spielereien mit der Ästhetik des Fehlers von Hannes Seidl und Gordon Kampe, bis zur den rauschenden Glitches von Noise-Artist James Hoff: : Imperfektionen werden bei jener Künstlergeneration zum kreativen Faktor, die das Digitale als Konzept und Material medienästhetisch nutzbar macht.
Selbstbildnis mit Fehler: Alexander Schubert nutzt mit seiner ›Band für aktuelle Musik‹ Decoder die »Ästhetik des Fehlers« als audiovisuelles Werkzeug.»Dies wäre der nächste Schritt für lernende Maschinen: Menschliche Fehler zu begehen… « – Mittels Computerviren lässt Noise-Artist James audiovosuelle Genres ekstatisch kollidieren.
Posted on
Post- und transhumanistische Konzepte geistern durch Medien und Kultur. Sie eint der Glaube an die Überwindung des Menschseins – und doch handeln sie gerade vom Menschen: DE/HUMAN! Die als ›Live-Feature‹ konzipierte Lecture-Performance tastet nach einer Zukunftsmusik jenseits des Menschen: Am 4.4.2020 im Deutschlandfunk und am 8.4.2020 im Salon des Amateurs!
AUFFÜHRUNGEN
Beim Forum neuer Musik 2020 des Deutschlandfunk springt die zeitgenössische Musik dem Tod von der Schippe: Künstlerische Beiträge sowie journalistische Wissens-Formate entwickeln Perspektiven auf das Sterben und die (Un)Endlichkeit. Am 4.4.2020 fragt das Kollektiv ›De|Human‹: Posthuman, all too human?
Im Salon des Amateurs tastet das Mini-Festival De|Human am 8.4.2020 in drei Performances und einem DJ-Set audiovisuell in eine Zukunft, die Natur und Kultur, Kunst und Technik wieder zusammendenkt.
ACTS
Transhuman Art Critics
›Kraftwerker‹ Emil Schult und Emma Nilsson betrachten die audiovisuelle Evolution der elektronischen Musik: Archäologische Funde vereinen sich mit der Wahrnehmung der Zukunft.
Lust + Rätsel
Christian Jendreiko begreift Mensch und Maschine als endliche Automaten, die in loser Koppelung verschmolzen werden können: als ›Netzixstenzen‹ und generative Assemblage.
Das Qualleninstitut versteht sich als eine elastische, fluide und diaphane Stätte zwischen Wissenschaft, Medien und Kunst, denn: Medusen besitzt das Potential, Welt neu zu denken.
Body Sound Network Kseniya Prytula und Martin Hoffmann bringen mit ihrem Interface-Anzug die Mensch-Maschine-Interaktion zum Klingen: Die Rückkehr der Körperlichkeit in einer Welt diskreter Datenströme!
„Acoustic intelligence“ ist ein Begriff der militärischen Überwachung und beschreibt den Informationsgewinn durch das Speichern und Prozessieren akustischer Phänomene. Bei der Jahrestagung der GfM-AG Auditive Kultur und Sound Studies 2020 wurde dieser Begriff in einem weiteren Sinne verstanden: Acoustic Intelligence:Hören + Gehorchen. Aus dieser Perspektive wird das Ohrenmerk auf die Herausbildung akustischer Überwachungs- und Reglementierungsprozesse gelegt und rücken zugleich maschinelle agencies in den Fokus, beispielsweise in Form selbstlernender Algorithmen und Künstlicher Intelligenzen.
Beispiele für ein solches Musikdenken finden haben zwei Kollegen und ich für den Blog der AG »Auditive Kultur und Sound Studies« unter dem Stichwort Sound Matters zusammengestellt:
Maximilian Haberer thematisiert DIE STILLE DES ABHÖRENS, denn: Abhören als Mittel der Spionage kann in der Regel nur unbemerkt gelingen und ist idealtypisch zunächst eine stumme Tätigkeit. Doch wie in Spionagefilmen wie „Das Leben der Anderen“ oder „The Conversation“ dargestellt, ist zumindest die Stille des Abhörens auf Tonband nur vermeintlich. Denn spätestens beim Anhören der Bandaufnahme wird die Tätigkeit des Abhörens selbst lautbar: Vom sanften Rauschen des Tapes über das plötzliche Hoch- und Runterschnellen der Stopp-Taste, bis hin zu den geisterhaften Geräuschen des Vor- und Zurückspulen des Bandes.
Tomy Brautschek interessiert sich für DIE ÄSTHETIK DER DURCHSAGE, denn: Regieanweisungen in der Tonproduktion erfolgen im Studio in der Regel via Talkbackfunktion aus dem Kontroll- in den Aufnahmeraum. Was zunächst als kommunikative Überbrückung der akustisch-räumlichen Trennung im Studioapparat installiert wurde, kann unweigerlich auch als Machtinstrument dienen. Der Klang der durch das Talkback übertragenen Stimme erinnert hierbei an die Soundästhetik der Durchsage, bei der Informationen vornehmlich als Anweisungen oder Kommandos über elektroakustische Sprachverstärker übermittelt werden und somit in einem Spannungsfeld zwischen Hören und Gehorchen bewegen.
Ich selbst verweise in meinem kleinen Beitrag ELEKTROAKUSTIK, EIN MISSBRAUCH VON HEERESGERÄT auf den bellizistischen Ursprung der elektronischen Musik: Dass sich nachrichtendienstliche Kommunikationssatelliten und Elektroakustik derselben Mittel bedienen, zeigt etwa die fast baugleiche Architektur von Karheinz Stockhausens 1970 bei der Expo in Osaka präsentiertem Kugelauditorium und den Abhöranlagen der NSA aus dem Kalten Krieg: Hören + Gehorchen ist also nur eine weitere Spielart Von ›Arts‹ zu ›Arms‹.
NSA Abhöranlagen in Bad AiblingKugelauditorium Osaka 1970
Die Apokalypse überfordert, sie floriert ästhetisch zwischen Ehrfurcht, Irritation und Schrecken. In meinem Impulsvortrag SUBLIME ÄSTHETIKEN zur Premiere von Ariel Efraim Ashbels no apokalypse not now am 6.12.2019 im Düsseldorfer Forum Freies Theater (FFT) begreife ich das (Post-)Apokalyptische sozioästhetisch und via Abstecher über Kino und TV, Klimawandel und Anthropozän, Maschinen-Herrschaft und Technoästhetik, 9/11 und unsichere Zukünfte. Dabei verfolge ich die These, dass Realität und audiovisuelle Imagination in einem Wechselverhältnis stehen, indem sich die real (empfundenen) Krisen in der (Pop-)Kultur, den schönen Künsten und den Wissenschaften ablagern und einen neuen Hang zu Gesellschaftskritik und Zukunftsprognose zeigen.
»Posthuman Perspectives on Early Electronic Music« in: Lars Koch / Tobias Nanz / Johannes Pause (Hg.): Disruption in the Arts, De Gruyter: Berlin 2018.
Electronic music—in particular the early experiments of the 1950s—offers many reference points to reflect on the topic of ‘Disruption in the Arts’, especially when using the prismatic concept of ‘interferences’. In physics, the term refers to the superposition of two or more waves that leads to a new wave pattern. In the wider sense of communication sciences, it refers to anything which alters, modifies, or disrupts a message as it travels along a channel. In acoustics, interference refers to the disruptive sound per se: white noise. The latter has become an object of the media and cultural studies as a disruptive element situated in between chaos and information that provides both crisis and progress (Sanio and Scheib 1995; Hiepko and Stopka 2001). Early electronic music has references to all of these implications and definitions. On a material level, the first experiments were nothing less than noise interferences based on the electrical sounds of communication engineering. On a socio-aesthetic level, this sound of interfering frequencies expressed a historical break, which was aligned and overlaid by discourses criticizing medial, social and aesthetic practices. By discussing interferences related to early electro acoustics as striking example of the principle of disruption in the arts, both of the mentioned levels will receive attention in the following sections. It is the argument, that these interferences indicate an epochal threshold and finally offer approaches for reflecting on a posthuman ‘state of the art’ in early electronic music.
Die Verbindung von Sprache und Musik ist grundsätzlich keine ungewöhnliche Kombination – denken wir banal an Liedkunst oder die Oper. Die Avantgarden haben das auf neue Ebenen gehoben: Dieter Schnebel etwa setzte mit seinen Maulwerkern die Stimme als perkussives und soziales Instrument in Szene, während Peter Ablinger mit seinem Zyklus Voices and Piano seit 1998 Stimmaufnahmen berühmter Persönlichkeiten in Rhythmus und Klang übersetzt, wobei der Klavierpart als zeitlicher und spektraler Scan der jeweiligen Stimme fungiert. Damit kommen wir dem Thema der Veranstaltung nahe, die ich am 13. Oktober 2018 in der Kunst-Station St. Peter moderier(t)e: den “sounds & structure in language and music II: Prominenz im Klang” – wo die Verbindung von Sprache und Musik auf eine neue, soziolingusitische Ebene gehoben wird.
Auf dem Podium sitzen abstrakt denkende Menschen, um die Schnittstelle von Sprache und Musik zu erkunden: Die fast schon legendäre Performanz-Theoretikerin und Sprach-Philosophin Prof. Dr. Dr. h.c. Sybille Krämer; Prof. Dr. Aria Adli, der in Köln das erste »Sociolinguistic Lab« gegründet hat und den SFB 1252 zur “Prominenz in Sprache” leitet; und der Komponist Roman Pfeifer.
Pfeifer widmet sich mit seiner »Kammerelektronik« u.a. artikulatorischer Phonetik, der ›Motortheorie‹ der Sprachesowie mit künstlichen Stimmen und sprechenden Instrumenten beschäftigt. Auf Basis eines linguistischen Korpus, der dem Komponisten von Prof. Adli zur Verfügung gestellt wurde, entstand A linguistic study of unexplained death für Schlagzeug und Elektronik, das die ungewöhnliche Berührung von Linguistik und Komposition sinnlich erfahrbar macht.
»Der Musikskandal ist mehr als der Pfeffer musikhistorischer Narrationen, vielmehr ein kultureller Störfall und Ereignis. Der Klingende Eklat überschreitet nicht nur die künstlerischen und moralischen Grenzen des guten Tons, sondern greift zudem gesellschaftliche Normen auf und an: er ist ein konfliktiver Seismograf sozialer Problem- wie ästhetischer Experimentierfelder.«
Roland H. Dippel hat die Arbeit für das orchester (6/2018) rezensiert.
Raoul Mörchen in »WDR 5 Scala – Bücher!« (13.2.2018) : »Man kann sich eigentlich nur wundern, dass dieses spannende Kapitel erst jetzt geschrieben wird. […] Anna Schürmer stößt mit ihrer großen Studie in eine echte Forschungslücke – ohne der Sensationslust, die sie beschreibt, selbst nachzugeben. Klingende Eklats ist keine ›chronik scandaleuse‹, sondern eine kluge Bestandsaufnahme und eine Analyse.«
1. Warum ein Buch zu diesem Thema?
Klingende Eklats sind prismatische Objekte mit fächerübergreifender Strahlkraft: künstlerisch zeigen sie das innovative Moment der Avantgarden als konfliktiver Vorhut ästhetischer Fortschreibungen; als Medienereignisse spiegeln Musikskandale den Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit, während Konzertaufführungen auf gesellschaftlicher Ebene zu Bühnen der Politik werden können, die den Wandel von Normen und damit sozio-ästhetische Paradigmenwechsel indizieren.
2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Innovativ ist die interdisziplinäre Verortung an einer medienkulturwissenschaftlich definierten Schnittstelle von Geschichts- und Musikwissenschaften: Klänge werden als Quelle und Gegenstand historisch erschlossen, Musik als Medium wie als Message betrachtet und so die musikalische Moderne diskursiv erschlossen: Vom ›Absolutismus der Moderne‹, über die ›Elektronische Eklatanz‹ der Medienmusik bis hin zu ›Transkulturellen Transfers‹ und dem ›Querstand von Kunst und Politik‹ im Umfeld von 1968.
3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Der klingende Eklat war bislang ein Thema, das es so nicht gibt. Allerdings ist die Arbeit im größeren Kontext einer fachübergreifenden Konjunktur in der Erforschung von Skandalen als ›Prinzipien der Störung‹ zu verorten und darüber hinausgehend als Beitrag zur Untersuchung auditiver Kulturen zu verstehen. Über das prismatische Objekt ›Musikskandal‹ wird es möglich, Kunst und Politik, Geschichte und Ästhetik, Medium und Kulturentwicklung in neuen Kontexten zusammenzudenken.
4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
Es wäre eine Geister-Runde: am liebsten würde ich mit Theodor W. Adorno und Heinz-Klaus Metzger – den zwei wichtigsten Publizisten und Theoretikern der Neuen Musik im 20. Jahrhundert – ein Gespräch über Geschichte und Gegenwart der Zukunftsmusik führen. Und natürlich sollten die komponierenden Protagonisten dieser Geschichte als streitbare Zeitzeugen auftreten: Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez, Luigi Nono und Hans Werner Henze, John Cage und Mauricio Kagel.
Lange verharrte die Musikwissenschaft in ihrer Konzentration auf Werk und Schöpfer von ›schöner‹ Kunstmusik. Doch zeichnet sich seit einiger Zeit ein Wandel und die Öffnung der Disziplin ab: medienkulturwissenschaftliche Theorien werden zu einer starken Stimme im musikwissenschaftlichen Chor und erweitern die autonomieästhetisch geprägten Standards des traditionellen Kernfaches. – Das zeigt etwa die aktuelle Ringvorlesung ›Aktuelle Perspektiven zur KLANGFORSCHUNG‹ an der TU Dresden, wo ich am 5. Dezember die Ehre habe, eine Sektion zu gestalten.
In meiner Vorlesung widme ich mich der »Musikalisierung von Störgeräuschen«, wie: NOISE – INTERFERENZEN – INTERPOLATIONEN , um mich exemplarisch an einem interdisziplinären Gedankenexperiment zu versuchen: einemal die ›Musik- als Medienwissenschaft‹ respektive die ›Medien- als Musikwissenschaft‹ zu betrachten, denn:
Was anderes, als ein Medium, ist die Musik?
Seit einigen Jahren bewegen sich die Sound Studies an den Rändern der Disziplinen formiert, um statt eines engen Musikbegriffs die Erforschung auditiver Kulturen fokussieren. Nach Jahren der mehr oder weniger friedlichen Koexistenz scheint es an der Zeit, kooperative Brücken in der ›Klang(kunst)forschung‹ zu bauen: Die Musikwissenschaften können medientheoretische Expertise gut gebrauchen und auch die Sound Studies nicht ohne die musikalische Expertise auskommen.