Das von mir mit Tomy Brautschek und Maximilian Haberer kuratierte Themenheft 4/2020 der Neuen Zeitschift für Musik geht zurück auf die gleichnamige Jahrestagung 2020 der AG Auditive Kultur und Sound Studies der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) und ist eingebettet in ein größeres Forschungsprojekt: ACOUSTIC INTELLIGENCE – HÖREN UND GEHORCHEN!
VOM KLANG DER MASCHINE – Ein audiovisueller Parcours durch die Geschichte der Medienmusik
(25.09.2020) – Sound-Lecture im Rahmen von »MASCHINENBOOM« – Ausstellung zum ›Sound‹ der Industriekultur im Industriemuseum Chemnitz.
Der ›Klang der Maschine‹ ist der Titel der Autobiographie von ›Kraftwerker‹ Karl Bartos. Tatsächlich aber schrieb sich die Maschine schon wesentlich früher als mit dem Auftritt der Düsseldorfer Elektropop-Pioniere in die Musikgeschichte ein und verläuft ihr Klang entlang medialer Umbrüche – wir haben es also sozusagen mit einer alternativen Zeitrechnung oder Epochenzählung der Musikgeschichte zu tun… Besucher*innen erwartet ein audiovisueller Parcour über drei Stationen: Von der ›Mechanischen Prähistorie‹ (um 1900), über die ›Elektronische Götterdämmerung‹ (nach 1945), bis in die ›Digitale Zukunftsmusik‹ (1990<).
neue musik. neue medien. düsseldorf.
(07.11.2020) – www.playondemand.de
Avancierte Musik und soziale Netzwerke tragen dasselbe Attribut: „Neue Musik – Neue Medien“. Diese Veranstaltung eröffnet einen Spielraum, um nach Kopplungs- und Nutzungsmöglichkeiten, Affinitäten und Widersprüchen, Gefahren und Chancen zu fragen: Ist Neue Musik (a)sozial?
Gefördert vom Kulturamt der Landeshauptstadt Düsseldorf, von der Kunststiftung NRW und vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW / Mit Dank an das C. Bechstein Centrum Düsseldorf / In Kooperation mit dem Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinroch-Heine-Universität Düsseldorf
Ludo-Ästhetik: Künstl(er)i(s)che Welten
Lara Croft hat feministische Pionierarbeit geleistet und Super Marios 8-Bits-Sound den Minimal Techno geprägt; Pac Man ist lesbar als Symbol des Raubtierkapitalismus von Fressen und Gefressen, während mit Zelda und Sims erstmals virtuelle Welten erschlossen wurden.
Die Gaming-Kultur ist im besten Sinne sozioästhetisch – und künstlerisches Tool der ›Generation +-1980‹, die altersbedingt mittlerweile Schaltzentralen in Gesellschaft und Kultur besetzt. Analog sozialisiert und zugleich die ersten ›digital natives‹, (inter)agieren ihre Vertreter an den hybriden Schnittstellen einer neuen medienästhetischen Ordnung, die Pop und Kunst, Realität und Virtualität, Unterhaltungsindustrie und den Ernst des Lebens beziehungsweise der Musik nicht mehr unterscheiden will. Diese mit dem Musikfernsehen und Computerspielen aufgewachsene Generation kundschaftet in bester Avantgarde-Manier neues Terrain aus und öffnet mit einer gehörigen Portion Spieltrieb audiovisuell animierte und interaktiv modellierte Möglichkeitsräume.
»Digitale Im|Perfektion« – der Fehler als kreativer Faktor
Unter den Vorzeichen digitaler Perfektion spielen Störungen eine entscheidende ästhetische Rolle. Mehr noch aktualisieren sie das (post)modernistische Fortschrittsdenken: Wenn das Material ausgeschöpft ist und technischer Perfektionismus den menschlichen Genius überholt – nimmt dann der Fehler strategisch die Rolle der Innovation ein?
>>> Feature | SWR2 #JetztMusik | 8.5.2020, 23.03-24.00h
Von den interferierenden Decodierungen Alexander Schuberts, über die irritierenden Spielereien mit der Ästhetik des Fehlers von Hannes Seidl und Gordon Kampe, bis zur den rauschenden Glitches von Noise-Artist James Hoff: : Imperfektionen werden bei jener Künstlergeneration zum kreativen Faktor, die das Digitale als Konzept und Material medienästhetisch nutzbar macht.


Post- und transhumanistische Konzepte geistern durch Medien und Kultur. Sie eint der Glaube an die Überwindung des Menschseins – und doch handeln sie gerade vom Menschen: DE/HUMAN! Die als ›Live-Feature‹ konzipierte Lecture-Performance tastet nach einer Zukunftsmusik jenseits des Menschen: Am 4.4.2020 im Deutschlandfunk und am 8.4.2020 im Salon des Amateurs!
AUFFÜHRUNGEN
Beim Forum neuer Musik 2020 des Deutschlandfunk springt die zeitgenössische Musik dem Tod von der Schippe: Künstlerische Beiträge sowie journalistische Wissens-Formate entwickeln Perspektiven auf das Sterben und die (Un)Endlichkeit. Am 4.4.2020 fragt das Kollektiv ›De|Human‹: Posthuman, all too human?
Im Salon des Amateurs tastet das Mini-Festival De|Human am 8.4.2020 in drei Performances und einem DJ-Set audiovisuell in eine Zukunft, die Natur und Kultur, Kunst und Technik wieder zusammendenkt.
ACTS
Transhuman Art Critics
›Kraftwerker‹ Emil Schult und Emma Nilsson betrachten die audiovisuelle Evolution der elektronischen Musik: Archäologische Funde vereinen sich mit der Wahrnehmung der Zukunft.
Lust + Rätsel
Christian Jendreiko begreift Mensch und Maschine als endliche Automaten, die in loser Koppelung verschmolzen werden können: als ›Netzixstenzen‹ und generative Assemblage.
Das Qualleninstitut versteht sich als eine elastische, fluide und diaphane Stätte zwischen Wissenschaft, Medien und Kunst, denn: Medusen besitzt das Potential, Welt neu zu denken.
Body Sound Network
Kseniya Prytula und Martin Hoffmann bringen mit ihrem Interface-Anzug die Mensch-Maschine-Interaktion zum Klingen: Die Rückkehr der Körperlichkeit in einer Welt diskreter Datenströme!
((((A.I.2020))))
„Acoustic intelligence“ ist ein Begriff der militärischen Überwachung und beschreibt den Informationsgewinn durch das Speichern und Prozessieren akustischer Phänomene. Bei der Jahrestagung der GfM-AG Auditive Kultur und Sound Studies 2020 wurde dieser Begriff in einem weiteren Sinne verstanden: Acoustic Intelligence: Hören + Gehorchen. Aus dieser Perspektive wird das Ohrenmerk auf die Herausbildung akustischer Überwachungs- und Reglementierungsprozesse gelegt und rücken zugleich maschinelle agencies in den Fokus, beispielsweise in Form selbstlernender Algorithmen und Künstlicher Intelligenzen.
Beispiele für ein solches Musikdenken finden haben zwei Kollegen und ich für den Blog der AG »Auditive Kultur und Sound Studies« unter dem Stichwort Sound Matters zusammengestellt:
- Maximilian Haberer thematisiert DIE STILLE DES ABHÖRENS, denn: Abhören als Mittel der Spionage kann in der Regel nur unbemerkt gelingen und ist idealtypisch zunächst eine stumme Tätigkeit. Doch wie in Spionagefilmen wie „Das Leben der Anderen“ oder „The Conversation“ dargestellt, ist zumindest die Stille des Abhörens auf Tonband nur vermeintlich. Denn spätestens beim Anhören der Bandaufnahme wird die Tätigkeit des Abhörens selbst lautbar: Vom sanften Rauschen des Tapes über das plötzliche Hoch- und Runterschnellen der Stopp-Taste, bis hin zu den geisterhaften Geräuschen des Vor- und Zurückspulen des Bandes.
- Tomy Brautschek interessiert sich für DIE ÄSTHETIK DER DURCHSAGE, denn: Regieanweisungen in der Tonproduktion erfolgen im Studio in der Regel via Talkbackfunktion aus dem Kontroll- in den Aufnahmeraum. Was zunächst als kommunikative Überbrückung der akustisch-räumlichen Trennung im Studioapparat installiert wurde, kann unweigerlich auch als Machtinstrument dienen. Der Klang der durch das Talkback übertragenen Stimme erinnert hierbei an die Soundästhetik der Durchsage, bei der Informationen vornehmlich als Anweisungen oder Kommandos über elektroakustische Sprachverstärker übermittelt werden und somit in einem Spannungsfeld zwischen Hören und Gehorchen bewegen.
- Ich selbst verweise in meinem kleinen Beitrag ELEKTROAKUSTIK, EIN MISSBRAUCH VON HEERESGERÄT auf den bellizistischen Ursprung der elektronischen Musik: Dass sich nachrichtendienstliche Kommunikationssatelliten und Elektroakustik derselben Mittel bedienen, zeigt etwa die fast baugleiche Architektur von Karheinz Stockhausens 1970 bei der Expo in Osaka präsentiertem Kugelauditorium und den Abhöranlagen der NSA aus dem Kalten Krieg: Hören + Gehorchen ist also nur eine weitere Spielart Von ›Arts‹ zu ›Arms‹.


SUBLIME ÄSTHETIKEN
no apokalypse not now
Die Apokalypse überfordert, sie floriert ästhetisch zwischen Ehrfurcht, Irritation und Schrecken. In meinem Impulsvortrag SUBLIME ÄSTHETIKEN zur Premiere von Ariel Efraim Ashbels no apokalypse not now am 6.12.2019 im Düsseldorfer Forum Freies Theater (FFT) begreife ich das (Post-)Apokalyptische sozioästhetisch und via Abstecher über Kino und TV, Klimawandel und Anthropozän, Maschinen-Herrschaft und Technoästhetik, 9/11 und unsichere Zukünfte. Dabei verfolge ich die These, dass Realität und audiovisuelle Imagination in einem Wechselverhältnis stehen, indem sich die real (empfundenen) Krisen in der (Pop-)Kultur, den schönen Künsten und den Wissenschaften ablagern und einen neuen Hang zu Gesellschaftskritik und Zukunftsprognose zeigen.
VOM STARMAN ZUM BLACK STAR
REAL EXISTIERENDE AVANTGARDE
Am 9. November 1989 wuchs auch musikalisch zusammen, was zusammengehört. Klingt schlüssig, ist aber so nicht verifizierbar. Denn tatsächlich bildeten sich in den 40 Jahren der Trennung zwei deutsche Musikkulturen heraus: Zelebrierte man im Westen einenautonomieästhetischen Innovationsimperativ, gingen ostdeutsche Komponisten oft mit einem politischen Impetus zu Werke: teils subtil zwischen den Notenzeilen, teils in aufbaubeseelten Massenliedern.
30 Jahre nach dem Mauerfall bietet sich die Gelegenheit, ein Ohr zurückzuwerfen. Das habe ich in mehreren Medien und Formaten getan:
INNDERDEUTSCHE DISSONANZEN (Neue Zeitschriff für Musik, 5/2019)
Mit den ostdeutschen Komponisten ist es heute ein bisschen wie mit den komponierenden Frauen: Sie sind unterrepräsentiert, aber im Gegensatz zu den Gender-Studies gibt es weder explizite DDR-Studien, noch eine Ossi-Quote. Der Soli mag Infrastrukturhilfe geleistet haben – den ostdeutschen Künstlern kam er nicht zupass. Und schon ist man drin im ostalgischen Jammerton, den man bei diesem Thema unbedingt vermeiden sollte – weil er sach- lich so nicht richtig ist und auf kulturpo- litischem Gebiet die ideologisch gefärbten Ressentiments verlängert.Verklärung und Abgrenzung sind wenig produktive Reaktionen auf unbestreitbare Ungerechtigkeiten, welche die Teilung einer Musikkultur infolge einer kriegsbedingten Staatstrennung sowie die Re-Organisation infolge einer 40 Jahre später erfolgten friedlichen Staatsfusion musikhistorisch illustrieren.
Das zeitgenössische Liedschaffen in der DDR spannte sich auf zwischen den Polen Avantgarde und Agitation: Mobilisierten schwungvoll-affirmative Massengesänge und politische Kunstlieder sozialistische Ideale, so übten andere zwischen den Notenzeilen subtile und oft genug auch avantgardistische Subversion. Wie wenig klischeehaft die ostdeutsche Musik zu bewerten ist, zeigte sich im Mai 2019 in Hannover, wo die Hochschule für Musik, Theater und Medien dem ostdeutschen Lied unter dem Motto „Unter dem Radar“ ein dreitägiges Symposium mit diversen Konzerten widmete: Von der apolitisch-konformistischen Dresdner Schule, über Vertreter der inneren Emigration bis zu den avancierten Berliner Komponistenkreisen, deren Vertreter der Neuen Musik westlicher Prägung in Sachen Experiment kaum nachstanden – aber einen politischen Impetus pflegten, der bis heute nachhallt.
UNTER DEM RADAR: OSTGEZETER (DLF, Musik-Panorama, 18.11.2019)
»Ostgezeter: Beiträge zur Schimpfkultur« – so nannte Thomas Rosenlöcher seine 1997 erschienenen Aufzeichnungen zur Zeit der ostdeutschen Transformation. 30 Jahre nach dem Mauerfall in Berlin diente sein Bonmot beim Festival TONLAGEN im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau als Titel eines Konzerts des Dresdner Vokalensembles AuditivVokal, bei dem neben Liedern aus der DDR auch eine Reihe von (Ur-)Aufführungen auf dem Programm standen – etwa von Friedrich Schenker und Georg Katzer. Auch an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover widmete man sich im Frühjahr 2019 intensiv dem Liedschaffen in der DDR. Das Festival-Symposium »Unterm Radar« brachte die Stimmvielfalt des Ostens zum Klingen: Zwischen subversiv und konform, Massenlied und Avantgarde, führen die Lieder eindrücklich vor Ohren, wie wenig klischeehaft das Musikschaffen in der DDR zu bewerten ist, wie divers Leben und Kunst auch unter staatlicher Aufsicht gedeihen.
Auch 30 Jahre nach der Wende ist der Zusammenklang der beiden deutschen Staaten von Dissonanzen durchzogen – und das nicht nur, aber auch im musikalischen Sinne. Das «Zusammenwachsen» ist ein symbolischer Begriff, der das Zusammenfügen gebrochener Körper- teile genauso beschreibt, wie dieVerschmelzung getrennter Staaten und Kulturen. In jedem Fall bleibt eine manchmal schmerzende Naht zurück, die als Wund- und Heilungsmal auch ästhetischen Wert besit- zen kann. Man sollte die Narbe selbstbewusst zur Schau tragen und nicht unter dem Mantel desVergessens verstecken…